Die Natur wird, gerade auch in den Städten, geachtet und der urbane Raum ist zum kollektiven Eigentum von Menschen, Tieren und Pflanzen geworden. Sie teilen sich den engen Raum und üben sich im konkurrenzlosen Nebeneinander. Auf jenen Gehsteigen, welche nie oder nur selten benutzt werden, ist der Schwarzbelag aufgebrochen worden. Spontanvegetation und Pionierpflanzen sind in den kleinen Nischen aufgeblüht. An Kreuzungen habe n sich die unbenutzten Flächen in den Gehsteigecken für neues Grün geöffnet. Die Laternen-Kandelaber sind zur Kletterhilfe für Schlinger geworden. Wie Vorhänge unterbrechen Hopfen, Knöterich und Clematis die Straßenschluchten und haben so die Räume kleiner und intimer gemacht. In den Nebenstraßen wurde auf versiegelte Beläge verzichtet, denn die gekiesten Straßen geben Platz für allerlei spontanen Pflanzenwuchs. Viele der Beschilderungen erübrigen sich damit, die Wahl der Mittel ist selbsterklärend geworden und der Begriff Schleichweg hat in den etwas holprigen Quartiersträßchen eine neue Bedeutung bekommen.
Die Alleebäume wurden nicht mehr einheitlich gepflanzt. Die verschiedenen Arten treiben und blühen munter durcheinander und werden im Herbst zum vielfältigen Farbspektakel. So sind die Straßen dichter und durch alle Grünt.ne hindurch verspielter geworden. Die neuen Obst- und Nussbäume in den Quartierstraßen machen den Gehsteig zum Vorgarten der Bewohner. Die Kinder lieben es besonders, die Nüsse und Äpfel vor ihrer Türe zu ernten. Man kann Stadtbauern beobachten, welche da und dort Kürbisse, Feldsalat und Kartoffeln anbauen. Das Gefühl vom eigenen Heim ist größer und die unmittelbare Umgebung ist zum erweiterten Zuhause geworden. Die artenreiche Pflanzenwelt lockt vielerlei Insekten, Vögel und andere Wildtiere an. Häuser sind mit Nistplätzen für Turmfalken und Fledermäuse ausgestattet, die Tiere finden hier ihre idealen Lebensbedingungen vor. Auf den vielen wilden Blumen tummeln sich verloren geglaubte Schmetterlingsarten. Sie finden eine Vielzahl von Nektar- und Futterpflanzen für sich und ihre Raupen. Im Kreuz- und Schwarzdorn brüten und flattern ganze Vogelkolonien. In den Steinmauern hausen Eidechsen und Blindschleichen zuhauf und in den abseits erbauten Tümpeln siedeln sich Frösche an und hie und da sieht man auch farbenprächtige Libellen. Die Stadt ist paradiesisch geworden, die reine Harmonie von Zivilisation und Natur. Das Jahr erfüllt die Bewohner mit wiederkehrenden Erlebnissen und schenkt ihnen gesunde Lebensmittel. Es ist ein schöner Moment im März, wenn die ersten Bienen endlich wieder ausfliegen. Wir pflücken die zarten Blätter des frischen Löwenzahns, um einen angenehm bitteren Salat zu genießen, den wir mit frischen Lindensprösslingen anreichern. Ein schön prickelndes Frühlingsgefühl im Gaumen, unbezahlbar!
Welch eine Üppigkeit der Natur, welch ein Schlaraffenland! Warum auch Geld ausgeben? Man könnte ja auch die Nester der Wachteln plündern, denn die braun-gelb-weiß gesprenkelten Eier gelten als Delikatesse, nur Turmfalken-Eier seien noch besser, heißt es. Die kurz gebratenen Froschschenkel vom Knochen saugen – ein Festessen. Unter den Jungen gilt es als besonders schick, der Angebeten selbst gesammelten Wildbienenhonig zu schenken. Und junge, gut gemästete Tauben, in ihrem zarten Fett geschmort und mit Kohl und Holunderbeeren gefüllt, stehen zuoberst auf allen Speisekarten der Stadt. Man binde die geschlüpften Tauben einfach mit Draht im Nest fest. So werden sie nie flügge, und dies bedeutet für die Tauben-Eltern immerzu weiterzufüttern; Schmetterlingsraupen, kleine blaue und rote Libellen hat es ja jetzt genug. Die junge Taube wird schnell größer und fetter als ihre Versorger und ihr Appetit wächst und wächst. Der Zeitpunkt, sie loszubinden, zu schlachten und zu rupfen ist jetzt gekommen. Das unbewegte helle Fleisch einer zart gegarten Taube schmilzt uns auf der Zunge.
Maurice Maggi ist Koch und floraler Anarchist in Zürich
Die Zeitschrift «Gartenpraxis» vom Ulmer Verlag D-Stuttgart druckt monatlich, eine Vision über Gärten der Zukunft in der Ausgabe April 2012 wurde meine Geschichte veröffentlicht. Ich wollte meine Vorstellung einer urbanen Stadt beschreiben.