Diese Woche hat aus astronomischer Sicht die Jahreszeit geendet, deren buntes Zürcher Erscheinungsbild Maurice Maggi seit rund 20 Jahren mitprägt: Wo im Sommer in der Limmatstadt die Malven blühen, weiss der Mann wie kaum ein Zweiter – auch wenn er zuweilen vergisst, wo genau er sie ausgesät hat. Als er sich vor wenigen Monaten öffentlich zu seiner Tätigkeit bekannte, waren manche verblüfft, hatte man doch die starke Ausbreitung dieser Pflanze gemeinhin den wundersamen Launen der Natur zugeschrieben.
Maurice Maggi erzählt uns seine Geschichte im Restaurant des neuen Quartierzentrums Aussersihl auf der Bäckeranlage, wo er als Küchenchef tätig ist. Sein Traum, eine Kochlehre zu absolvieren, war zwar im Jugendalter an einem Diabetes gescheitert, und so hatte er sich damals zum Landschaftsgärtner ausbilden lassen. Die Leidenschaft für das Kochen versiegte aber nicht; ab den neunziger Jahren verlegte er sein Tätigkeitsfeld mehrheitlich in die Küche und arbeitete in verschiedenen Zürcher Restaurants. Dabei wandte er der Fauna nicht ganz den Rücken zu -im Gegenteil: Schon in den achtziger Jahren hatte er begonnen, seine Bewegungsräume auf öffentlichem Grund mit der Aussaat von Malven zu markieren – vorzugsweise in den von der Stadt angelegten Baumrabatten. Diese pflegte das Tiefbauamt damals noch mit Herbiziden unkrautfrei zu halten, und so verstand sich Sämann Maggi in den Anfängen durchaus .als subversives Element. Nach und nach erweiterte er sein Repertoire und seinen Wirkungskreis. Rund 500 Quadratmeter an einheimischen Pflanzen hat er gemäss seiner Schätzung in den letzten Jahrzehnten auf öffentlichem Stadtgebiet angesät, mittlerweile·-namentlich auf SBB-Arealen -auch nach gestalterischen Kriterien: Er trennt die Samenmischungen, die er meist in Schweizer Biobetrieben kauft, nach den Farben und schafft an ausgewählten Orten geometrische. Formen. Seit kurzem sät er, beispielsweise vor der Langstrassen-Unterführung, auch Schlafmohn.
Der Artikel eines nichtsahnenden Journalisten, der sich in der Tagespresse staunend über die Verbreitung der Malven ausgelassen hatte, regte Maggi dazu an, sich diesen Sommer öffentlich zu seinem bunten Treiben zu bekennen. Dies· tat er · im Juli mit einer Fotoausstellung in einer Zürcher Galerie. Diese höheren Weihen inspirierten Maggi dazu, die Kunstgeschichte um einen neuen Begriff zu bereichern: «Blumen-Graffiti» nannte er fortan seine Resultate. Er sieht sich als Gestalter des Stadtbilds und will nicht in die Ecke des Naturschützers gedrängt werden. Pflege lässt er seiner Aussaat nicht angedeihen – sie muss sich selber durchsetzen. Doch zu seinen Ritualen gehört es, die Orte seines Wirkens später aufzusuchen und einen Blick auf das Gedeihen der Saat zu werfen. Manchmal dauert es allerdings zwei bis drei Jahre, ehe ein Resultat sichtbar wird.
Einen seiner grösseren Coups landete Maggi auf dem Areal des Oberen Letten: Als dort 1990 die SBB-Gleise stillgelegt worden waren, befand er, dies sei ein idealer Standort für ein Trockenbiotop. Er stellte nach eigenen Angaben eine Samenmischung für 30 geschützte Pflanzen her und säte diese aus. In der darauf folgenden Zeit der offenen Drogenszene habe sich die Saat im eingezäunten Gebiet ungestört entwickeln können, erinnert sich Maggi -und der heutige Pflanzenbestand entspreche ziemlich genau seiner Aussaat. Das Areal ist inzwischen ins Inventar der schützenswerten Naturzonen der Stadt aufgenommen worden. Maggi nimmt für sich in Anspruch, diesen Schritt mit seiner Aussaat eingeleitet zu haben. Als Mitinitiant des Restaurants Primitivo, das neues Leben ins Lettenareal brachte, war er in der Folge auch im der Erarbeitung des Konzepts «Respect» beteiligt; unter diesem Label wirbt die Stadt mittlerweile offiziell für ein verträgliches Nebeneinander von Freizeitnutzungen und Naturschutz auf diesem Gelände, das demnächst neu gestaltet wird. Maggi freut sich besonders darüber, wie sehr die Stadtbevölkerung «seinen» Pflanzenwelten Sorge trägt. Und auch jetzt, da er sich als Urheber geoutet hat, scheint sein Tatendrang ungebrochen. In den letzten Monaten hat er mit Samen im Gepäck unter anderem den neuen Turbinenplatz in Zürich West aufgesucht. Er hofft, dass diese Visite bereits nächstes Jahr Resultate zeitigt.
Bei den zuständigen Amtsstellen der Stadt sind die Meinungen über Maurices Maggis Aussaaten geteilt. Christian Scherrer von der Rechtsabteilung des Tiefbauamts Jacht laut, als man ihm den Tatbestand zusammenfasst. Eigentlich greife der Mann mit der Bepflanzung von öffentlichem Raum in das Hoheitsrecht der Stadt ein und würde deshalb eine Bewilligung benötigen, hält der Jurist fest. Solange Maggi aber kein Cannabis anbaue, werde man sein Tun wohl tolerieren. Auch Hans Jürg Bosshard, stellvertretender Leiter der Abteilung Unterhalt von Grün Stadt Zürich, nimmt die Sache mit Humor. Er finde es sehr schön, was Maggi da mache – und so sähen dies auch die für die Grünflächenpflege zuständigen Mitarbeiter des Tiefbauamts, so dass sie die Malven bisher hätten stehenlassen. Man wisse zwar erst seit kurzem, dass da Menschenhand im Spiel gewesen sei, doch man drücke auch künftig ein Auge zu. Etwas weniger locker sieht das Bettina Tschander von der städtischen Abteilung Naturschutz. Sie bezeichnet das grosszügige Aussäen als problematisch und Maggis Wirken als keineswegs nachahmenswert. Namentlich seine auf Bahnarealen gesäten Pflanzen seien oft nicht standortgerecht, und aus naturschützerischer Sicht fehle ein Konzept. Was das Lettenareal betreffe, überschätze Maggi seinen Einfluss: Eine starke Artenvielfalt sei dort schon vor seinem Wirken belegt worden, so Tschander.