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P.S. Zeitung

22.4.2022

Der «florale Anarchist»

Mit seinen Blumengraffiti gibt Maurice Maggi der Stadtnatur eine Stimme. Zwischen März und Oktober sät der bekannte Guerillagärtner gegen Eintönigkeit und Grau an. Seine florale Revolution soll unser Bewusstsein schärfen und lokales Handeln fördern. Auch arbeitet der passionierte Koch an einem neuen Kochbuch.


Text Angela Bernetta
Bild Gustavo Nagib

Derzeit ist Maurice Maggi mit Pflanzensamen in der Hosentasche überall dort unterwegs, wo er Trostlosigkeit und Einöde im öffentlichen Raum verortet. «In der Stadt Zürich haben Bäume und Pflanzen keine Lobby», sagt der 68-jährige Guerillagärtner. «Sie verlieren jeden Platzkampf und verkommen zur Dekoration.» Seit den 1980er-Jahren gibt der gelernte Landschaftsgärtner und Koch der Stadtnatur mit seinen Blumengraffiti eine Stimme, besamt Nischen und Plätze mit Wildblumen und -kräutern in Eigenregie. In seinen Anfangszeiten entsorgte Grün Stadt Zürich diese regelmässig. Heute lässt man sie stehen. Finanziell unterstützt werden seine Aktionen für die Stadtnatur nicht. «Ich kaufe meine Samen selbst oder bekomme gelegentlich welche geschenkt.» Er sagt: «Pflanzen verändern den öffentlichen Raum. Stadtnatur schafft Begegnungsmöglichkeiten und fördert lokales De nken und Handeln.» Und seine Botschaft kommt an. Er gilt als Wegbereiter des Urban Gardening in der Stadt Zürich. Immer mehr StadtbewohnerInnen begrünen ihre Umgebung, lassen ihre Gärten verwildern oder pflanzen Bäume. «Im rot-grünen Zürich sorgt sich die Stadtbevölkerung erstaunlicherweise mehr um Pflanzen und Bäume als die Behörde», findet Maggi. Auch der Fachwelt blieb seine sanfte Revolution nicht verborgen. Mittlerweile klopfen ArchitektInnen und LandschaftsgärtnerInnen an und fragen um Rat. Oder lassen ihn an Vorträgen, in Stadtrundgängen oder Kursen sein Wissen vermitteln.

Maurice Maggi setzt mit seiner Saat ein blühendes Zeichen in der Stadt Zürich.

Keine grüne Stadtplanung

Eine grüne Stadt sei Zürich mitnichten, findet Maggi. Und ergänzt: «Wieso zieht man heute noch Bodenversiegelung einer natürlichen Begrünung vor?» Wie etwa am Zürcher Sechseläutenplatz, der komplett zubetoniert und versiegelt worden ist. «Das Regenwasser kann nicht versickern, und im Sommer wird der Stein extrem heiss.» Die Lage der Stadt mit angrenzendem See und Wäldern sorge für eine angemessene Durchlüftung und Kühlung und nicht eine umsichtige Stadtplanung. Auch das Vorgehen von Grün Stadt Zürich bereitet ihm bisweilen Kopfzerbrechen. Etwa dann, wenn sie ab Mitte Juni das Grün rund um die Bäume im öffentlichen Raum einfach abschneiden.

«Die Pflanzen können nicht versamen. Insekten wie Wildbienen und Schmetterlinge finden keine Nahrung und verhungern.»

Laut Pro Natura ist der Zustand der Biodiversität in der Schweiz ohnehin bedenklich. Die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten sind bedroht. «Eine natürliche Landschaft ist artenvielfältig, und diese Räume gilt es zu erhalten», findet Maggi. Dabei könnten bereits kleinräumig begrünte Flächen in der Stadt viel verändern. Beeindruckt zeigt er sich etwa vom Gleisfeld der SBB in Richtung Altstetten, wo sich ein riesiges Biotop entwickelt hat. Oder dem Tramtrassee an der Thurgauerstrasse mit einer der schönsten Magerwiesen der Stadt.

Leben in Gehdistanz

Bis 2050 werden etwa 80 Prozent der Menschen in Städten wohnen, belegen Erhebungen nicht erst seit gestern. «Daher sollte man sie so gestalten, dass man dort gut und nachhaltig leben kann», findet Maggi. Einige Grossstädte seien diesbezüglich bereits im Wandel. Etwa New York, wo er selbst lange lebte. «Die Menschen dort haben erkannt, dass die Mobilität, das schnelle hin und her fahren, viel kaputt macht, ja eigentlich unser Untergang ist.» Vieles sei dort in Bewegung, was das Leben in unmittelbarer Gehdistanz begünstige. «Es entstehen Grünflächen zur Erholung, aber auch zum Anbau von Essbarem.» Ähnliche lokale Bewegungen seien in Paris, Wien, Singapur oder Mailand auszumachen. «Hierzulande geht es diesbezüglich etwas langsamer.»

Neben seiner Aussaat versteht der passionierte Koch seine Kochbücher als konstruktiven Beitrag an diese Entwicklung. Erschienen sind bis heute «Essbare Stadt», «Einfache Vielfalt» und «Misch & Masch». Sie zeigen anhand von Anleitungen und Rezepten, wie man seine rund 70 einheimischen Wildpflanzen und -kräuter, die er regelmässig ansät, verwerten kann. Maggi verfasst aber nicht nur Kochanleitungen, sondern verzehrt auch selbst gern Saisonales. «Im Moment geniesse ich frischen Löwenzahnsalat. Bald kommen die Brennnessel und der Spargel. Und im Sommer freue ich mich auf wilde Heidelbeeren und die Freilandtomaten im August.» Ein weiteres Buchprojekt mit kreativen und unkonventionellen Rezepten sei in Arbeit. «Es befasst sich mit einer persönlichen kulinarischen Zeitreise, zusammengefasst in Kurzgeschichten», verrät er. Man darf gespannt sein.

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