von Andrea Fopp
Maurice Maggi ist ein Revoluzzer am Herd. In seinem neuen Kochbuch zeigt er einen lustvollen Weg zum Veganismus auf.
Ja, klar, sonst würde ich es nicht schreiben.
Ich war Ende zwanzig, es hat mich fasziniert, vor allem am Anfang, dann legt man schnell an Gewicht zu. Es ging natürlich darum, den Bizeps aufzupumpen, in der Tierwelt ist das bei der Balz ja sehr verbreitet. Ich gab dann den anderen Leuten im Club Ernährungstipps, es ging vor allem um billiges Eiweiss. Wir haben oft Magerquark gegessen, der hat weniger Fett als Fleisch.
Nein, aber es ging darum, ihn so zuzubereiten, dass man ihn runterkriegte, vor allem, wenn man ein halbes Kilo davon essen musste.
Jede Ernährung ist einseitig. Wenn man wenig Geld hat, isst man nur Kohlenhydrate. Und wenn man viel Geld hat, isst man Fleisch und Gemüse und verteufelt Kohlenhydrate, da kann man fragen: Was soll das?
Der Zürcher Maurice Maggi (61) gilt als Schweizer Pionier unter den Guerilla-Gärtnern. Seit dreissig Jahren pflanzt er in der Nacht Blumen im öffentlichen Raum – die Malven am Rheinbord haben wir ihm zu verdanken. Maggi arbeitet als Koch in der Wädenswiler Fabrikbeiz. Soeben ist sein neues Kochbuch «Einfache Vielfalt» im AT Verlag erschienen.
Ich bin seit vierzig Jahren Diabetiker und musste mich schon immer mit der Ernährung auseinandersetzen. Aber heute wird die Ernährung immer politischer.
Nicht nur. Wenn ich zum Beispiel in Zürich am Samstag vor der Migros im Strassencafé sitze, beobachte ich die Leute. Und bei vielen ragt etwas Grünes, am liebsten Lauch, oben aus dem Tragsack raus und das gern bei Männern. Sie wollen zeigen: Ich koche frisch, ich habe da drin jetzt nicht einfach Junkfood. Das ist ein Statement. Früher konnte man mit dem Porsche vorfahren bei der Disco und dann wussten alle, man ist reich.
Ja, es sagt sehr viel aus, es sagt, man ist kultiviert, man kann kochen, man weiss, wie man Lauch zubereitet, und man kauft Bio.
Nein, gar nicht. Wenn Jugendliche sich heute von ihren Eltern unterscheiden wollen, können sie nicht mehr lange Haare haben oder skaten. Die Eltern machen ja alles mit und der Vater möchte auch noch am liebsten mit dem Sohn eine Nacht lang im Club abhängen. Aber wenn er heimkommt und sagt, ich will Veganer werden, dann ist der Krach zu Hause da. Der Vater hat Angst, sein Sohn kriegt Vitamin-B-Mangel, die Mutter weiss nicht mehr, was kochen.
Ja, es ist ein Ausdruck davon. Ich finde es toll, dass es Statussymbole gibt, die vernünftig sind.
Ja, mit Kochen kann man die Leute handzahm machen.
Nehmen Sie das Suppenhuhn. Ich brauche im Restaurant etwa 360 Eier im Monat. Ein Huhn legt 0,8 Eier pro Tag, doch nach einem Jahr legt die Henne kaum mehr Eier, und dann will sie niemand mehr.
Ja, pro Monat verkoche ich mindestens zwei Suppenhühner, zum Beispiel als Curry oder Chicken Pie. Und dann fragen mich manchmal Gäste: «Kannst du dazu nicht Hühnerbrust nehmen?» und dann sage ich: «Doch, aber wer isst dann das Suppenhuhn?» Wenn dann der Gast weitererzählt: «Ich hatte Suppenhuhn-Curry und es war sogar gut», kochen seine Freunde auch Suppenhühner.
Das ist ja die Idee. Nehmen Sie «Imagine» von John Lennon, das ist meine Jugend. Er hat das Lied wie Zuckerwatte geformt, dass es jedem direkt ins Herz geht, alle haben es schön gefunden. Doch der Text handelt von einer Welt ohne Religion und Krieg. So hat Lennon es geschafft, einen Protest so zu verpacken, dass man ihn heute noch am Radio hört. Wenn Menschen etwas schön finden, sind sie eher bereit, sich auch mit dem Inhalt auseinanderzusetzen.
Ja.
Die Fotografin, Juliette Chrétien, und ich haben beim Verlag lange dafür gekämpft, dass es drinbleibt.
Nein, für sie war es einfach kritisch, dass man überhaupt wagt, das zu zeigen. Und dann noch in diesen langen Unterhosen, das ist ja ein Symbol von Unsexyheit. Aber ich bin einfach ein «Gfröörli».
Wenn man im Restaurant Gnocchi isst, zahlt man dafür gerne einen hohen Preis. Klar, es steckt viel Arbeit drin, aber die Materialkosten sind nichts, es besteht ja nur aus Mehl und Kartoffeln, vielleicht noch ein bisschen Ei und noch ein bisschen Käse und Öl. Und trotzdem gilt es als etwas Edles. Als ich in New York lebte, kochte ich in einem argentinischen Restaurant in der Lower East Side. In Argentinien ist es Tradition, dass man am 28. des Monats Gnocchi macht. Und weil man dabei Geld spart, kriegt jeder eine Eindollarnote unter den Teller. Alle haben gegessen, alle sind satt und alle sind glücklich.