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Südostschweiz am Sonntag

22.3.2009

Wider die Betonwüste

Text von Sermin Faki

Dem grauen Einheitsbrei der Städte etwas Natur zurückgeben – dieser Devise haben sich Guerilla-Gärtner verschrieben. Das subversive Gärtnern feiert derzeit weltweiten Erfolge. Mit dem Zürcher Maurice Maggi liegt die Schweiz schon lange im Trend.

Nacht für Nacht schnappen sie sich Schaufel, Hacke und Giesskanne. Ihr Ziel: die heimliche Aussaat von Pflanzen im öffentlichen Raum, vorrangig in Grossstädten und auf öffentlichen Grossflächen. Sie nennen sich Guerilla-Gärtner und opfern ihre Nachtruhe brachliegenden Flächen, Verkehrsinseln und Mittelstreifen, die sie im Schutz der Dunkelheit begrünen. Damit wollen sie der Natur in grauen, betonierten Städten wieder zu ihrem Recht verhelfen.

Kunst gegen das Spiessbürgertum

Entstanden ist «Guerilla Gardening», wie die weltweite Bewegung heisst, 1973 in New York, als eine Initiative mitten in Manhatten einfach ein Stück Brachland in eine grüne Oase verwandelte – die übrigens noch heute besteht. Seit einigen Jahren finden immer mehr Guerilleros in den Metropolen zusammen, nicht immer mit dem gleichen Ansatz. Manche sehen die Aktionen als politischen Prostest «gegen die Monokulturen des Spiessbürgertums», manche als Kunst, wieder andere wollen einfach nur die Stadt, in der sie leben, schöner machen.

Maurice Maggi will ein bisschen von allem. Set 25 Jahren verteilt der Zürcher Blumensamen in seiner Heimatstadt – und war damit dem Trend einiges voraus. «Ich bin ein Kind der Achtzigerjahre, subversives liegt mir einfach», erklärt der heute 54-Jährige seine Leidenschaft fürs Undercover-Gärtner.

Berühmt geworden ist Maggi mit seinen Malven, die von Mai bis September an fast jedem neuralgischen Punkt der Limmatstadt blühen. Mit den Stockrosen hat Maggis heimliche Karriere begonnen. Der gelernte Gärtner wurde 1984 an den Zürichberg bestellt, um den Garten einer Villa in Ordnung zu bringen. «Der Garten war ein einziges Malvenfeld in voller Blüte. Ich konnte es unmöglich einfach vernichten», erinnert sich Maggi. Also nahm er wenigstens die Samen mit – uns verstreute sie rund um die Bäume der Zürcher Innenstadt, zum Beispiel in der Löwenstrasse und am Paradeplatz.

Die Malve eignet sich perfekt für Maggis Idee, denn einmal ausgesät, überlässt er die Pflanzen sich selbst und der Stadt, und die Malve ist «robust und anspruchslos, blüht lang und markant».

Poesie und Politik

Erlaubt war (und ist) das eigenmächtige Aussäen von Pflanzen im öffentlichen Raum nicht, aber Maggi spekulierte darauf, dass die Stadtgärtner den gleichen Impuls verspüren würden wie er am Zürichberg: «Ich fragte mich, ob ein Gärtner eine wunderbare Pflanze einfach ausreissen könnte.» Konnte er nicht, und so darf Maurice Maggi, mittlerweile mit Duldung der Stadt Zürich, weiterhin Farbe in das Stadtgrau bringen. Trotz aller Poesie möchte Maggi damit auch ein politisches Statement abgeben: «Ich will natürlich ein bisschen die Ordnung stören. Andererseits werden Blumen sehr selten als störend empfunden, was meinen Aktionen natürlich wenig Angriffsfläche bietet. Trotzdem denke ich, dass sie den Betrachter in einen interessanten Zwiespalt bringen.»

Wählte Maggi Orte und Pflanzen anfangs eher zufällig aus, hat er aus seinem geheimen Hobby mit der Zeit Aktionskunst gemacht. Heute erstellt er Konzepte, bevor er sät, und überlegt genau, welche Pflanzen wo am besten passen. Im Trendquartier Zürich-West liess er die bäuerliche Kamille und Fingerhut spriessen, vor dem Letzigrund-Stadion kamen las Replik auf die roten Sitze blau-weisse Blüten zum Einsatz. Ausserdem sät Maggi mittlerweile farbgetrennt an: «Die Künstlichkeit der Pflanzung soll erkennbar sein», begründete der Undercover-Gärtner und spielt auch wieder mit Stadt und Natur.

Biotop von Hamburg bis Sizilien

Im Maggis Augen hat uns die Natur so einiges voraus. «Sie braucht nur wenig Platz, um sich durchzusetzen: Einem Löwenzahn reicht schon ein kleiner Riss im Beton, um sein Recht auf Leben zu demonstrieren.» Maggis Schluss: Wir können unsere Städte noch so sehr zubetonieren und versiegeln – es wird nichts nützen. Dennoch bemerkt auch er, dass die freien Flächen auf dem Stadtgebiet immer weniger werden uns es allenfalls an der Peripherie noch grössere Areale gibt. Doch für Maurice Maggi muss es auch nicht unbedingt Zürich sein: Er hat schon in Berlin und New York geheimgegärtnert, in Bern, Mailand und München. Sein urbaner Gartentraum wäre die Gleisanlage im Zürcher Hauptbahnhof: «Man käme in einem Blumenmeer an.» Oder Autobahnböschungen. «Da besteht, von uns fast unbemerkt, ein riesiges Biotop von Hamburg bis Sizilien.»

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