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NZZ

24.9.2004

Ein Sämann ohne Ernte

Wie Maurice Maggi Zürich zur Malven-Stadt gemacht hat

Weshalb haben in Zürich auch im soeben zu Ende gegangenen Sommer allenthalben die Malven geblüht? Maurice Maggi weiss es: Er selber sät Samen für diese und andere Pflanzen auf öffentlichem Grund. Er narrte damit 20 Jahre lang die Öffentlichkeit.

Diese Woche hat aus astronomischer Sicht die Jahreszeit geendet, deren buntes Zürcher Er­scheinungsbild Maurice Maggi seit rund 20 Jah­ren mitprägt: Wo im Sommer in der Limmatstadt die Malven blühen, weiss der Mann wie kaum ein Zweiter – auch wenn er zuweilen vergisst, wo ge­nau er sie ausgesät hat. Als er sich vor wenigen Monaten öffentlich zu seiner Tätigkeit bekannte, waren manche verblüfft, hatte man doch die starke Ausbreitung dieser Pflanze gemeinhin den wundersamen Launen der Natur zugeschrieben.

Mit der Saat sein Einzugsgebiet markiert

Maurice Maggi erzählt uns seine Geschichte im Restaurant des neuen Quartierzentrums Ausser­sihl auf der Bäckeranlage, wo er als Küchenchef tätig ist. Sein Traum, eine Kochlehre zu absolvie­ren, war zwar im Jugendalter an einem Diabetes gescheitert, und so hatte er sich damals zum Landschaftsgärtner ausbilden lassen. Die Leiden­schaft für das Kochen versiegte aber nicht; ab den neunziger Jahren verlegte er sein Tätigkeitsfeld mehrheitlich in die Küche und arbeitete in ver­schiedenen Zürcher Restaurants. Dabei wandte er der Fauna nicht ganz den Rücken zu -im Gegen­teil: Schon in den achtziger Jahren hatte er begon­nen, seine Bewegungsräume auf öffentlichem Grund mit der Aussaat von Malven zu markieren – vorzugsweise in den von der Stadt angelegten Baumrabatten. Diese pflegte das Tiefbauamt da­mals noch mit Herbiziden unkrautfrei zu halten, und so verstand sich Sämann Maggi in den An­fängen durchaus .als subversives Element. Nach und nach erweiterte er sein Repertoire und seinen Wirkungskreis. Rund 500 Quadratmeter an ein­heimischen Pflanzen hat er gemäss seiner Schät­zung in den letzten Jahrzehnten auf öffentlichem Stadtgebiet angesät, mittlerweile·-namentlich auf SBB-Arealen -auch nach gestalterischen Krite­rien: Er trennt die Samenmischungen, die er meist in Schweizer Biobetrieben kauft, nach den Farben und schafft an ausgewählten Orten geometrische. Formen. Seit kurzem sät er, beispielsweise vor der Langstrassen-Unterführung, auch Schlafmohn.

Der Artikel eines nichtsahnenden Journalisten, der sich in der Tagespresse staunend über die Verbreitung der Malven ausgelassen hatte, regte Maggi dazu an, sich diesen Sommer öffentlich zu seinem bunten Treiben zu bekennen. Dies· tat er · im Juli mit einer Fotoausstellung in einer Zürcher Galerie. Diese höheren Weihen inspirierten Maggi dazu, die Kunstgeschichte um einen neuen Begriff zu bereichern: «Blumen-Graffiti» nannte er fortan seine Resultate. Er sieht sich als Gestal­ter des Stadtbilds und will nicht in die Ecke des Naturschützers gedrängt werden. Pflege lässt er seiner Aussaat nicht angedeihen – sie muss sich selber durchsetzen. Doch zu seinen Ritualen ge­hört es, die Orte seines Wirkens später aufzu­suchen und einen Blick auf das Gedeihen der Saat zu werfen. Manchmal dauert es allerdings zwei bis drei Jahre, ehe ein Resultat sichtbar wird.

Maggis Wirken am Oberen Letten

Einen seiner grösseren Coups landete Maggi auf dem Areal des Oberen Letten: Als dort 1990 die SBB-Gleise stillgelegt worden waren, befand er, dies sei ein idealer Standort für ein Trocken­biotop. Er stellte nach eigenen Angaben eine Samenmischung für 30 geschützte Pflanzen her und säte diese aus. In der darauf folgenden Zeit der offenen Drogenszene habe sich die Saat im eingezäunten Gebiet ungestört entwickeln kön­nen, erinnert sich Maggi -und der heutige Pflan­zenbestand entspreche ziemlich genau seiner Aus­saat. Das Areal ist inzwischen ins Inventar der schützenswerten Naturzonen der Stadt aufgenom­men worden. Maggi nimmt für sich in Anspruch, diesen Schritt mit seiner Aussaat eingeleitet zu haben. Als Mitinitiant des Restaurants Primitivo, das neues Leben ins Lettenareal brachte, war er in der Folge auch im der Erarbeitung des Konzepts «Respect» beteiligt; unter diesem Label wirbt die Stadt mittlerweile offiziell für ein verträgliches Nebeneinander von Freizeitnutzungen und Na­turschutz auf diesem Gelände, das demnächst neu gestaltet wird. Maggi freut sich besonders darüber, wie sehr die Stadtbevölkerung «seinen» Pflanzenwelten Sorge trägt. Und auch jetzt, da er sich als Urheber geoutet hat, scheint sein Tatendrang ungebro­chen. In den letzten Monaten hat er mit Samen im Gepäck unter anderem den neuen Turbinen­platz in Zürich West aufgesucht. Er hofft, dass diese Visite bereits nächstes Jahr Resultate zeitigt.

Belustigung und Ärger bei der Stadt

Bei den zuständigen Amtsstellen der Stadt sind die Meinungen über Maurices Maggis Aus­saaten geteilt. Christian Scherrer von der Rechts­abteilung des Tiefbauamts Jacht laut, als man ihm den Tatbestand zusammenfasst. Eigentlich greife der Mann mit der Bepflanzung von öffentlichem Raum in das Hoheitsrecht der Stadt ein und würde deshalb eine Bewilligung benötigen, hält der Jurist fest. Solange Maggi aber kein Cannabis anbaue, werde man sein Tun wohl tolerieren. Auch Hans ­Jürg Bosshard, stellvertretender Leiter der Abtei­lung Unterhalt von Grün Stadt Zürich, nimmt die Sache mit Humor. Er finde es sehr schön, was Maggi da mache – und so sähen dies auch die für die Grünflächenpflege zuständigen Mitarbeiter des Tiefbauamts, so dass sie die Malven bisher hätten stehenlassen. Man wisse zwar erst seit kurzem, dass da Menschenhand im Spiel gewesen sei, doch man drücke auch künftig ein Auge zu. Etwas weniger locker sieht das Bettina Tschander von der städtischen Abteilung Naturschutz. Sie bezeichnet das grosszügige Aussäen als problematisch und Maggis Wirken als keineswegs nachahmenswert. Namentlich seine auf Bahnarealen gesäten Pflan­zen seien oft nicht standortgerecht, und aus natur­schützerischer Sicht fehle ein Konzept. Was das Lettenareal betreffe, überschätze Maggi seinen Einfluss: Eine starke Artenvielfalt sei dort schon vor seinem Wirken belegt worden, so Tschander.

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