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Grünzeit Nr. 29

29.4.2009

Aus dem Asphalt schiesst das Grün

Zeitschrift für Lebensraum von Grün Stadt Zürich. Gehsteig-Gärtner, Guerilla-Gardening und Baumpatenschaften in Zürich und anderswo

Text von Marius Leutenegger

Einige der über 21 000 Zürcher Strassenbäume stehen in besonders schön gepflegten Baumscheiben – zum Beispiel im Quartier Hirslanden, wo ein Hobbygärtner vier Rabatten seit Jahren liebevoll pflegt.

«Ich gehe in den Garten», ruft Viktor Flepp seiner Frau zu. Dabei zieht er sich nicht etwa an einen schmucken, ruhigen Ort zurück. Sein vom Verkehr umtoster «Garten» besteht lediglich aus vier Baumscheiben vor seinem Wohnhaus, dort wo sich Forchstrasse und Fröbelstrasse kreuzen.

Begeisterung kam erst mit der Zeit

Zum Baumscheibengärtner und Stadtverschönerer wurde der 80-jährige ehemalige Gipseraus Liebe zu seinem Quartier. «Vor einigen Jahren war unsere Strassenecke noch so etwas wie ein Dorfplatz», erinnert er sich. Weil Schülerinnen und Schüler die Überreste ihrer Mittagsverpflegung aus der Migros in Form von PET-Flaschen und Verpackungen meist in den Baumscheiben entsorgten, pflanzte Frau Flepp als Gegenmassnahme einige Blumen in eineder Rabatten vor der Apotheke.

«Mein Frau hat das angezettelt! Immer wieder ‹stupfte› sie mich, ich solle doch schnell dieBlumen vor der Apotheke giessen gehen.» Mit der Zeit begann es Viktor Flepp richtig Spass zu machen, obwohl er zuvor nie etwas mit Gartenarbeit am Hut hatte. Vor einigen Jahren übernahm ein Autohändler die Räumlichkeiten der Migros. Und weil ihm die gepflegten Baumscheiben vor der Apotheke gefielen, fragte er Viktor Flepp, ob er die vor seinem Geschäft nicht ebenfalls verschönern könne. Seither betreut Viktor Flepp alle vier Baumscheiben an der Kreuzung, setzt Tulpen, Rosen oder Primeln, giesst die Bäume. Die Stämme umgibt ein Kieselstreifen, was den Rabatten auch im Winter ein gepflegtes Erscheinungsbild verleiht.

Fünfliber von der Nachbarin

Mit der Zeit wurden Mitarbeitende von Grün Stadt Zürich auf Viktor Flepps Wirken aufmerksam und sicherten dem Freizeitgärtner ihre Unterstützung zu. «Man sagte mir, es wollten sich immer mal wieder Leute um eine Rabatte kümmern, aber die meisten gäben nach wenigen Monaten wieder auf.» Ihn hingegen trifft man seit Jahren spätestens ab April mindestens dreimal wöchentlich in seinem «Garten» an, meist vormittags zwischen sieben und zehn Uhr. Manchmal kommt er mit der Arbeit nicht richtig voran, denn ständig wird er in Gespräche verwickelt. Eine Nachbarin drückt Viktor Flepp einmal jährlich einen Fünfliber in die Hand, andere überreichen ihm zum Dank eine Flasche Wein.

In Zürich kein Einzelfall

Bis in die Presse und sogar ins Fernsehen gebracht hat es Maurice Maggi. Seit 25 Jahren sät der Koch und ehemalige Gärtner in der ganzen Stadt Blumen. Stets trägt er ein paar Samen mit sich herum, die er mit Vorliebe in der Nacht ausbringt. «Wir lassen ihn gewähren», sagt Max Ruckstuhl, Leiter der Fachstelle Naturschutz bei Grün Stadt Zürich. «Eine bunt bepflanzte Baumscheibe sieht schliesslich schöner aus als eine voller Hundekot.» Er gibt aber zu bedenken, dass solches Tun «nicht die biologische Vielfalt beeinträchtigen sollte». Maurice Maggis Vorliebe gelte den Stockrosen (Malven), einer Pflanze, die in Zürich nicht heimisch sei. «Ich finde es schade, dass er bei seinen nächtlichen Streifzügen nicht mehr für die Biodiversität unternimmt. Gerne würde ich ihm zu diesem Zweck einheimisches Saatgutzur Verfügung stellen!»

Mit einer Wildblumen-Mischung eingesäte Baumscheibe am Idaplatz.
Stockrosen (Malven) als Blickfang am stark befahrenen Mythenquai.

Weltweite Bewegung

Maurice Maggi oder Viktor Flepp haben Gesinnungsgenossen auf der ganzen Welt: 1973 rief die New Yorker Künstlerin Liz Christy ihren Freundeskreis auf, ein brachliegendes Gelände in der East Side zu bepflanzen. Die Gruppe bezeichnete sich als «Green Guerillas» – urbanes Gärtnern war ihr friedlicher Ausdruck von «Flower Power», einer grünen Variante zivilen Ungehorsams. Die grünen Guerilleros warfen Saatgut über Bauzäune, pflanzten Blumen in Baumscheiben und ermutigten die Öffentlichkeit, die Verschönerung ihrer Stadt selber in die Hand zu nehmen. Das Beispiel der New Yorker Kampfgärtner hat weltweit Schule gemacht. In Brüssel pflanzen die «grünen Brigaden» zum Beispiel Sonnenblumen an und erklärten den 1. Mai zum «Internationalen Sonnenblumen-Guerilla-Tag».

Baumpatenschaften in Basel

Mancherorts stossen solche Initiativen auch bei Behörden auf Wohlwollen. In Basel zum Beispiel können Interessierte bei der Stadtgärtnerei die Verantwortung für eine Baumscheibe in ihrem Quartier beantragen. «Wir zählen konstant knapp 200 Patinnen und Paten», sagt Yvonne Aellen, Leiterin Grünflächenunterhalt der Basler Stadtgärtnerei. Einschränkungen, was dort ausgesät werden dürfe, gebe es keine, sagt die Biologin, «die Leute pflanzen das, was ihnen Freude macht». Wichtig sei jedoch, dass die Pflanzen regelmässig gepflegt würden und die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtiget werde. Auf einer Liste geeigneter Pflanzenarten empfiehlt die Basler Stadtgärtnerei vor allem Wildstauden.

Keine aktive Förderung in Zürich

Alles in allem mache man mit den Baumpatenschaften gute Erfahrungen, meint Yvonne Aellen. «Natürlich wäre es manchmal einfacher, man könnte die Baumscheiben einheitlich pflegen, aber die Baumpatenschaften tragen stark zur Identifikation der Menschen mit ihrer Stadt bei.» In Zürich wird die private Verschönerung von Baumscheiben nicht aktiv gefördert. Das Bepflanzen von Baumrabatten sei aus gärtnerischer Sicht fragwürdig, «weil im empfindlichen Wurzelraum gegraben, gedüngt und gewässert wird», sagt Hans-Jürg Bosshard, bei Grün Stadt Zürich verantwortlich für das sogenannte Verkehrsgrün. Dennoch hält auch er fest: «Wenn jemand von sich aus eine Baumrabatte pflegen will, unterstützen wir das gern – vorausgesetzt, das Interesse ist nach einer Saison nicht schon wieder verflogen. Ein unbestrittener Vorteil neben der Optik ist, dass begrünten Baumscheiben mehr Respekt entgegengebracht wird und sie weniger durch darüber fahrende Autos beschädigt werden.» Zum Schluss noch dies: Wer eine Baumrabatte oder zwei «adoptieren» will, ist auf jeden Fall gut beraten, vorgängig den Grünflächenverwalter des Quartiers zu kontaktieren.

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